Dieser Artikel erläutert die Möglichkeiten und Chancen, wie mittels Wissensmanagement und Augmented Reality alle notwendigen Informationen für einen erfolgreichen Serviceeinsatz bereitgestellt werden können und wird mit zwei wichtigen Hinweisen für die Einführung abgerundet.

Wissen ist Macht, diese Erkenntnis des englischen Philosophen Francis Bacon von 1597 gilt bis heute. Allerdings behielt man in früheren Zeiten meist sein Wissen für sich, um damit einen persönlichen Vorsprung zu erzielen. Heute gilt, wer Wissen teilt, führt Unternehmen zum Erfolg. Wissen ist gerade auch in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung mit das wertvollste Gut eines Unternehmens. Die Konsequenz daraus ist, Wissen muss gemanagt werden. So wie Mitarbeiter, Prozesse, Veränderungen etc. muss Wissen als eine wesentliche Ressource im Unternehmen geführt, weiterentwickelt und gesteuert werden. Damit beschäftige ich mich schon sehr lange. Auslöser war vor vielen Jahren ein Interview mit einem Mercedes Manager, der in einem Nebensatz sagte: „wenn Mercedes wüsste, was Mercedes weiß…“, und lies das Ende des Satzes offen, „dann hätten wir einen enormen Wettbewerbsvorteil“ will man ergänzen. Gerade im Service gilt das oft noch bis heute.

Wissen ist häufig in den verschiedenen IT-Systemen und Anwendungen „versteckt“ und damit nicht einfach abgreifbar und auch nicht immer konsistent. Und viel Wissen steckt in den Köpfen der Mitarbeiter und geht bei Fluktuation oft verloren, da in der Regel keine ausreichende Zeit für die Einarbeitung der Nachfolger zur Verfügung steht.

Im Service macht sich dies besonders negativ bemerkbar. Das liegt einerseits daran, dass aufgrund langer Produktlebenszeiten und immer schneller wechselnder Serien das Produktportfolio, das der Service zu betreuen hat, deutlich größer ist, als das aktuelle Angebot eines Unternehmens. Andererseits muss gerade im Service Wissen dezentral und sofort zur Verfügung stehen, um schnelle Lösungen erzielen und Kundenzufriedenheit gewährleisten zu können.

Im Service spielt das Wissen um das Produkt eine entscheidende Rolle. Die Ursache des Problems muss gefunden werden und man muss wissen, wie der Fehler schnell behoben werden kann – und dies am besten im Voraus, damit ein Serviceeinsatz nicht daran scheitert, dass wesentliche Werkzeuge oder Ersatzteile fehlen. Dabei spielen häufig auftretenden Fehler keine Rolle, hier weiß Jeder aus Erfahrung sofort, was zu tun ist. Problematisch sind die vielen selten auftretenden Fehler. Der gängige Trial & Error Ansatz führt zwar letztendlich meist zum Erfolg, ist aber nicht unbedingt der schnellste und kostengünstigste.

Viele Unternehmen behelfen sich mit Datenbanken und Wikis. Oft scheitert dies jedoch an dem hohen Aufwand für die Erstellung und vor allem für die kontinuierliche Aktualisierung sowie an der mangelnden Benutzerfreundlichkeit.

Heutige Systeme funktionieren anders. Sie sind in der Lage vorhandenes Wissen zu vernetzen, intelligent zu verarbeiten, kontinuierlich zu erweitern und gezielt bereit zu stellen. Vorhandene Informationen, die in unterschiedlichen Systemen abgelegt sind, werden zusammengeführt. Dies können strukturierte Daten wie Stücklisten und unstrukturierte Informationen wie Service-Tickets oder Service-Berichte sein. Unstrukturiertes Wissen – Prosa – wird über Textmining Tools erschlossen und mit den strukturierten Daten vernetzt. Damit erhält man die Möglichkeit große Datenmengen zu verdichten und intelligent zu nutzen. Dringend benötigte Informationen werden so einfach und schnell bereitgestellt.

Die Vernetzung ermöglicht auch das Erkennen von Zusammenhängen, die Analyse von Fehlerursachen und schafft Transparenz. Durch die Nutzung des Systems und Verifizierung oder Falsifizierung von Systemergebnissen durch die Nutzer wird das System kontinuierlich mit Expertenwissen angereichert. Der aktuelle Fall kann schon die Lösung für den nächsten Nutzer sein.

Fachwissen, das bisher nur Menschen zugänglich war, wird so aufbereitet, dass automatische Verfahren damit arbeiten können. Dabei werden mit Informationsvernetzung, Erkennung von Zusammenhängen und Text-Mining Techniken der künstlichen Intelligenz (KI) genutzt. Im Gegensatz zu vielen KI-Anwendungen ist aber jederzeit nachvollziehbar, was das System gelernt hat und wie es zu seinen Schlussfolgerungen kommt (keine Blackbox-Verfahren)

Ein klassischer Fall für das System ist das Auffinden von ähnlichen Fällen. Das heißt, wenn die Ursache für einen Fehler gesucht wird, sucht das System auf Basis vergleichbarer Konstellationen nach Lösungsansätzen und bietet diese an. Die Quelle hierfür könnte beispielsweise die gezielte Auswertung von erledigten Servicefällen (z.B. Service-Tickets) sein. Indem der Mitarbeiter dann einen der angebotenen Fälle aufgrund seiner Erkenntnisse auswählt, die zugehörige Reparaturanleitung erhält und nach der Reparatur diese als erfolgreich bestätigt – oder eben auch nicht – hat das System durch diese Interaktion gelernt.

Weiterhin ist ein solches System in der Lage aus vorhandenen Informationen neues Wissen zu generieren. Durch Visualisierung und Erkennung von Mustern können Zusammenhänge erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Zum Beispiel kann das System im Rahmen einer Wartung oder Reparatur die Instandsetzung weiterer Elemente empfehlen, um Ausfälle, die in ähnlichen Konstellationen entstanden sind, zu vermeiden.

Ein konkretes Beispiel: Ein Techniker – das kann der Instandhaltungsmitarbeiter des Betreibers der Maschine oder ein Servicetechniker des Herstellers sein – muss ein Problem vor Ort lösen und benötigt hierfür Unterstützung. Neben den Basisinformationen über die Maschine, die z.B. bereits durch das Erstellen eines Tickets bekannt sind, oder über das Scannen eines QR-Codes erfasst werden können, gibt der Mitarbeiter die Fehlersymptome dem System bekannt. Diese Eingabe kann über eine vorgegebene Struktur oder über Freitext erfolgen. Im letzten Fall wird das benutzte Vokabular kontrolliert. Eingaben zu einem betroffenen Bauteil können mit der Stückliste abgeglichen werden. Bei Texteingabe beispielsweise des Worts „Brummen“ wird abgefragt, ob es sich um „Geräuschentwicklung“ handelt und ob auch Vibrationen auftreten. Auf Basis dieser aktuellen Informationen sowie der Historie der aktuellen Maschine und bei vergleichbaren Maschinen und Fällen werden, wie bereits oben erwähnt, ähnliche Fälle ermittelt und dem Techniker entsprechende Fehlerursachen vorgeschlagen.

Falls das System keine Lösung zu dem aktuellen Fall liefern kann, bietet es die Kommunikation mit einem hierfür geeigneten Experten an. Hier kommt nun die Augmented Reality (AR) Technologie ins Spiel, die faszinierende Möglichkeiten bietet. Daher ein kurzer Exkurs:

Die AR Technologie ermöglicht es, ein reales Objekt z.B. eine Maschine oder Komponente mit zusätzlichen digitalen Inhalten zu ergänzen. Beispielsweise werden auf einem Tablett, Smartphone oder einer Datenbrille zusätzlich zu dem Video-Livebild Informationen und Hinweise zur Lösung des aktuellen Problems eingeblendet, die ein Experte aus der Ferne erstellt oder die als Schritt für Schritt Anleitungen vorbereitet aus dem Wissensmanagementsystem geliefert werden.

Damit ist die AR Technologie ein vielversprechendes Anwendungsfeld im Service. Der Techniker in unserem Beispiel wird durch den AR-Support sicher durch den Reparaturprozess geführt. Da das Livebild an den Experten übertragen wird, kann dieser jederzeit eingreifen, auf Gefahren hinweisen und Fehler im Prozess verhindern. Ich habe es selbst erlebt, wie ein Kollege an der Maschine, der telefonisch mit einem Experten verbunden war, eine falsche Platine getauscht hat, da die beiden offensichtlich von unterschiedlichen Dingen gesprochen haben und der Experte ein anderes Bild der Anlage vor sich sah.

Auch häufig benutzte Tools wie WhatsApp oder TeamViewer, die zwar auch Bild- oder Video-Übertragung ermöglichen, bieten nicht den Nutzen einer zielgerichteten AR-Kommunikation. Das deuten auf ein konkretes Objekt mittels AR-Symbolen und Icons, die auch bei Bewegung an dem Objekt haften bleiben, bietet hier immense Vorteile, Verwechslungen werden ausgeschlossen, Probleme der Sprechverbindung in lauten Umgebungen und – viel wichtiger noch – Sprachbarrieren können überwunden werden.

Zurück zu unserem Beispielfall: Der Techniker konnte nun mit Hilfe des Experten aus der Ferne das Problem lösen. Der Lösungsweg, die einzelnen hierzu notwendigen Schritte sind in Form von AR-Annotationen vorhanden und können nachträglich editiert und gespeichert werden. Dies ist ein weiterer Vorteil des AR-Systems. Einerseits wird der Reparaturprozess dokumentiert, anderseits kann die Anleitung für vergleichbare Fälle wieder genutzt werden. Wenn der Techniker also zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf das Problem stößt, bei dieser oder einer vergleichbaren Anlage und sich nicht mehr an das genaue Vorgehen erinnert, bietet das System diesmal die nun vorhandene Lösung an und der Techniker kann die Annotationen der ersten Reparatur erneut nutzen, ohne den Experten zu Rate ziehen zu müssen. Außerdem steht diese Lösung nun auch allen Kollegen des Technikers zur Verfügung. Dies spart auf allen Seiten Zeit und Aufwand. So füllt sich im Laufe der Zeit die Datenbank mit Hilfen für Fehlersuche und Reparatur. Das Wissensmanagementsystem sorgt dafür, dass die geeignete Anweisung schnell gefunden und bereitgestellt wird.

Als Nebeneffekt dieser Technologie werden aktuelle Anlagenzustände kontinuierlich dokumentiert. Viele Anlagen werden im Lauf der Zeit verändert und an neue Situationen angepasst, ohne dass eine entsprechende Dokumentation erfolgt. Daher hat der Experte an seinem Schreibtisch manchmal ein Bild der Anlage vor Augen, das nicht (mehr) der Realität entspricht.

Falls doch der Einsatz eines Experten vor Ort notwendig ist, kann dieser durch die vorab erfolgten Informationen effizienter durchgeführt werden. Benötigte Ersatzteile und Werkzeuge können bereits im Vorfeld organisiert werden. Zeit- und kostspielige Reisen werden reduziert und Maschinenstillstandzeiten verringert.

Die Technologie kann weltweit überall dort sinnvoll eingesetzt werden, wo ein Internetzugang zur Verfügung steht. Die technischen Restriktionen sind aber in aller Regel lösbar. AR-Annotationen funktionieren auch offline, die Software hierfür ist auf der App. Grenzen des Systems sind eher organisatorischer Natur. Falls Unternehmen es nicht erlauben ein Gerät, das Fotos oder Videos erstellen kann, mitzuführen – dies ist z.T. in der Rüstungsindustrie und in Vorentwicklungsbereichen der Fall – ist das System nicht einsetzbar. Hier kommt man nur durch den Aufbau von Vertrauen weiter.

Neben dem interaktiven Support bietet AR auch dann Vorteile, wenn Trainings on the Job durchgeführt werden. Durch die visuelle Unterstützung und die Einblendung interaktiver Inhalte mit verständlichen Handlungsanleitungen sowie Checklisten minimiert sich der Trainingsaufwand für die Techniker.

Zusammenfassend kann man feststellen, der Einsatz von AR und Wissensmanagement beschleunigt die Prozesse und spart Zeit und Geld sowohl beim Hersteller als auch beim Nutzer von Maschinen und Anlagen. Der Hersteller spart insbesondere Recherche- und Reisezeiten und kann nach der Gewährleistungsphase den Augmented Knowledge Support als neues Serviceprodukt verkaufen oder seine Serviceangebote erweitern. Vereinbarungen hinsichtlich Service-Level und Verfügbarkeiten können erweitert oder leichter eingehalten werden. Und der Kunde, der Nutzer, hat den enormen Vorteil geringerer Ausfallzeiten seiner Anlagen.

Erfahrungsgemäß ist die Einführung von Augmented Knowledge einfacher als es im ersten Augenblick erscheint. Wählt man den Pareto-Ansatz, lassen sich innerhalb von ca. drei Monaten schon erste gute Ergebnisse erzielen. Dabei ist neben der Technologie eine gute Vorbereitung, eine Anpassung der Prozesse und das frühzeitige Einbeziehen der betroffenen Mitarbeiter wichtig.

Viele Unternehmen gewähren Ihren Kunden einen kostenfreien telefonischen Support auch nach der Gewährleistungszeit. Dies erfordert Ressourcen, die zumindest nicht direkt von den Kunden bezahlt werden. Eine neue Technologie mit zusätzlichen Möglichkeiten bietet hier die Chance mit neu geschnürten Angeboten zusätzliches Geld zu verdienen und gleichzeitig die Kundenzufriedenheit zu steigern.